© by Thomas Andenmatten - Adam Zagajewski an der Kreuzgasse in Leuk (23. 08. 2005) |
Improvisation
Man muss die ganze Last der Welt auf sich nehmen
und sie leicht machen, erträglich.
Sie über die Schulter werfen
wie den Rucksack und losziehen.
Am besten abends, im Frühjahr, wenn
die Bäume ruhig atmen und die Nacht schön
zu werden verspricht, im Garten Ulmenzweige knistern.
Die ganze Last? Blut und Häßlichkeit? Unmöglich.
Immer wird ein bitterer Geschmack im Mund bleiben
und die ansteckende Verzweiflung der alten Frau,
die du gestern in der Tram gesehen hast.
Warum sollen wir lügen? Freudige Erregung
existiert nur in der Phantasie und vergeht schnell.
Improvisation - immer nur Improvisation,
anderes kennen wir nicht, klein oder groß,
in der Musik, wenn die Jazztrompete fröhlich weint,
oder wenn du auf das weiße Blatt Papier schaust,
oder auch, wenn du vor der Trostlosigkeit
fliehst und deine Lieblingsgedichte aufschlägst;
in diesem Moment klingelt gewöhnlich das Telefon,
und jemand fragt: "Sind Sie an unseren
neuesten Modellen interessiert?" Nein, danke.
Es bleibt das Grau, die Eintönigkeit; eine Trauer,
die von der herrlichsten Elegie nicht geheilt wird.
Doch vielleicht gibt es vor uns verborgene Dinge,
in denen sich Melancholie und Begeisterung mischen,
immer, täglich, wie die geburt des Morgens
am Meer, oder nein, warte,
wie das freudige Lachen der beiden kleinen Ministranten
in weißen Chorhemden, an der Ecke Johannes- und Markusstraße
weißt du noch?
Adam Zagajewski
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