ISBN: 978-3-86615-511-4 |
Viele Jahre sind vergangen, Jahre voller Kriege, in denen sogenannte Geschichte gemacht wurde. Vom Zufall hin- und hergetrieben, habe ich das beim Abschied gegebene Versprechen, zu meinen Bauern zurückzukehren, bis jetzt nicht halten können; wer weiß, ob es überhaupt dazu kommen wird. Aber hier in meinem Zimmer, in meiner in sich abgeschlossenen Welt, lege ich gern in der Erinnerung den Weg wieder zurück in jene andere, in Schmerz und Brauchtum verstrickte, unendlich geduldige Welt, die abseits von Geschichte und Staat liegt, in dieses herbe, trostlose Land, wo der Bauer in Elend und Verlassenheit auf karger Scholle im Angesicht des Todes seiner starren Sitte lebt.
„Wir sind keine Christen“, sagen sie, „Christus ist nur bis Eboli gekommen.“ Christ bedeutet in ihrer Ausdruckweise Mensch; und der sprichwörtliche Satz, den ich hundertmal habe wiederholen hören, ist in ihrem Munde wohl nichts anders als der Ausdruck eines trostlosen Minderwertigkeitskomplexes. „Wir sind keine Christen, keine Menschen, wir gelten nicht als Menschen, sondern als Tiere, als Lasttiere und noch geringer als Tiere und Koboldwesen, die doch ihr freies, teuflisches oder engelhaftes Dasein leben; denn wir müssen uns der Welt der Christen jenseits unseres Horizontes unterwerfen, ihre Last und ihren Widerspruch ertragen.“ Aber der Satz hat noch einen viel tieferen Sinn: wie jede symbolische Ausdrucksweise gilt er auch buchstäblich. Christus ist wirklich nur bis Eboli gekommen, wo Straße und Eisenbahn die Salernitaner Küste und das Meer verlassen und in das öde lukanische Land eindringen. Christus ist niemals bis hierher gelangt, ebenso wenig wie die Zeit, die individuelle Seele, die Hoffnung oder das Band zwischen Ursache und Wirkung, wie die Vernunft und die Geschichte. Christus ist nicht bis hierher vorgedrungen, wie auch die Römer nicht bis hierher vorgedrungen waren, welche die großen Straßen beherrschten, aber sich von den Bergen und Wäldern fernhielten, ebenso wenig wie die Griechen, welche am Meer die blühenden Städte Metapont und Sybaris bewohnten. Keiner der kühnen Männer des Westens hat bis hierher den Sinn für die sich wandelnde Zeit, seine Staatstheokratie oder seinen ewigen, sich selbst noch steigernden Tatendrang gebracht. Niemand hat diese Erde berührt, es sei denn als Eroberer oder als Feind oder als verständnisloser Besucher. Die Jahreszeiten gleiten über die Mühsal der Bauern dahin, heute wie dreitausend Jahre vor Christi Geburt; keine menschliche oder göttliche Botschaft wurde an diese halsstarrige Armut gerichtet. Wir reden eine andere Sprache: unsere Worte sind hier unverständlich. Die großen Entdecker haben die Grenzen ihrer eigenen Welt nicht verlassen; sie haben die Pfade ihrer eigenen Seele, die Wege des Guten und Bösen, der Moral und der Erlösung durchlaufen. Christus ist in die unterirdische Hölle der jüdischen Ethik hinabgestiegen, um dort die Pforten der Zeit aufzubrechen und sie in Ewigkeit zu versiegeln. Aber in dieses düstere Land ohne Sünde und ohne Erlösung, wo das Übel nicht moralisches, sondern nur irdisches Leid ist, das ewig den Dingen anhaftet, ist Christus nicht herabgestiegen. Christus ist nur bis Eboli gekommen.
(Anfang des Romans)
(Anfang des Romans)
3 коментара:
Ein großer Roman!
Levi schrieb diesen nach der Zeit, als er als Arzt praktizierte. Ich kenne davon ein Bild,
welches er malte und zu diesem Roman total passt.
Er lernte in dieser Zeit in diesem Raum auch mit Wundern und Aberglauben umzugehen.
*Aber in dieses düstere Land ohne Sünde und ohne Erlösung, wo das Übel nicht moralisches, sondern nur irdisches Leid ist, das ewig den Dingen anhaftet, ist Christus nicht herabgestiegen.*
Das Land ohne Sünde, dieser Gedanke ist Grundgedanke..
ohne moralisches Leid, irdisch gelebt, so beschreibt er das Leben in diesem Dorf....
Und doch, Jesus war dort, jeden Tag!!! Gerade deshalb!
Ich könnte es noch weiter ausführen, dieses warum und weshalb.
Miro, ein tiefgründiges Buch. Es sollte jeder in unserer jetzigen Zeit gelesen haben! Auf sich selbst verlassen, in sich hören - wir haben es verlernt und doch den Glauben bewahren - wir sind dabei, es zu verlernen....
herzlich, Rachel
Vielen Dank für die Erinnerung an ein Buch, das ich vor zehn Jahren auf einem Flohmarkt fand und für einen Euro mit nach Hause nehmen durfte.
Einen wunderbaren Sonntag dir.
So ist es… um reich zu werden, braucht man kein Geld.
Schöne Grüße!
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