четвртак, 15. април 2010.

Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo

Er verritt früh am Morgen, und Raquel war allein.
Der Morgen war endlos, und es wird ein anderer Morgen sein und ein dritter, ehe er wieder da ist.
Sie ging in den Garten, sie ging an den Tajo, ging zurück ins Haus, ging wieder in den Garten, schaute auf die finstere Stadt Toledo, und die Rose von Schiras war immer noch geschlossen, und es war noch immer nicht Mittag. Und nachdem die Rose aufgegangen war, schlichen die Stunden noch langsamer. Raquel, am frühen Nachmittag, lag im Schatten ihres Zimmers, es war sehr heiß, und wurde es denn niemals Abend? Und sie ging von neuem in den Garten, aber die Tulpenwaren noch geschlossen, und die Schatten waren kaum länger geworden. Endlich war es dunkel, aber da wurde es nur quälender.
Nach einer ewigen Nacht dämmerte ein schwärzlichgrauer Morgen, wurde heller grau, filterte weißlich durch die Vorhänge. Sie stand auf, ließ sich baden, salben und ankleiden und säumte und zögerte. Man brachte ihr Frühstück, doch die Früchte waren ihr nicht saftig, die erlesenen Süßigkeiten nicht süß. Mit ihrem inneren Aug sah sie den Alfonso, der nicht da war, wie er achtlos und gierig aß und trank. Sie sprach zu ihm, sagte seinem Luftbild verliebte Worte, rühmte sein mageres, männliches Gesicht, die rotblonden Haare, die nicht großen, scharfen Zähne. Ihre Hände glitten seine Weichen und seine Hüften hinab, sie sagte schamlose Worte, die es dem Alfonso aus Fleisch und Blut nicht hätte sagen können, und sie errötete und sie lachte.
Sie erzählte sich selber Märchen. Da waren Riesen, Untiere, die alles ringsum totschlugen und das Mark fressen wollten aus den Knochen ihrer Feinde. Sie äußerten Sätze, die Alfonso geäußert hatte, doch verstärkt ins Ungeheuerliche. Alfonso war einer dieser wüsten Gesellen, aber sie konnte nicht entdecken, welcher. Auch war es eigentlich nicht er, es war ein verwandelter, verzauberter Alfonso, der auf die Geliebte wartete, die ihn erlösen sollte aus der Gestalt, die er hatte annehmen müssen. Und sie wird ihn erlösen.


Lion Feuchtwanger: Spanische Ballade (= Die Jüdin von Toledo)
Sonderausgabe Europäischer Buchklub,
Stuttgart - Zürich – Salzburg, 1955
Einbandgestaltung von E. Aurich und Karl Studinger

1 коментар:

Rachel је рекао...

Lieber Miro,

ja, in der DDR ein Muss, jetzt fast vergessen...
In meiner Bibliothek steht es noch, auch daheim...
Feuchtwangers eigene Sprache macht alles Geschriebene anziehend...

herzlich, Rachel