ISBN: 3518422189 |
Die Zeit der Geschichte vom Großen Fall war auch die der großen und kleinen Kriege. Die großen wurden, ohne dass ein Ende abzusehen war, ausgetragen in den, für uns Hiesige, uns Westler, dritten Ländern, die kleinen aber bei uns daheim, tagaus und nachtein, anders tödlich, und auch da kein Ende abzusehen. Bürgerkriege? Unsinn: die scheinen bei uns jedenfalls, ausgereizt, und würden sie doch wieder aufleben, so wären sie, wie seit jeher die Bürgerkriege, nicht klein, vielmehr die größten, oder die grausamsten. Nein, im jeweils eigenen Land war das die Zeit der Nachbarnkriege, ein irreführender Ausdruck, weil da immer nur zwei aufeinander losgingen und sich deren Familien, wenn sie, eine Seltenheit, überhaupt eine hatten, in der Regel aus den Kampfhandlungen heraushielten. Und trotzdem waren es Kriege wie nur welche. An einen Friedenschluss war, im Unterschied zu den großen Kriege, wenigstens denen von früher, nicht zu denken. Der Nachbarnkrieg konnte nur enden mi t dem Tod, dem so oder so gewaltsam eines der beiden Kriegführender gemeinsam. Worte standen außen Frage, und sowie nicht mehr geschrien wurde, hieß das: der tödliche Ausgang, ein- oder zweifach, war nahe.
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In den Zeitungen gab es besondere Rubriken dafür, die sich täglich verlängerten. Gründe für diese Kriege: keine, weder der Lärm, noch eine andere Sprache, Hautfarbe, Religion noch gar das vielleicht uranfängliche Einandernichtriechenkönnen. Meist waren die kriegführenden Parteien Leute ungefähr gleichen Alters, hatten einen ähnlichen Beruf, eine ähnliche Herkunft, verwendeten ähnliche, meist Fachausdrücke, wie sie einander überhaupt in allem ähnlich waren. Gesellschaftswissenschaftler hatten versucht, eine Erklärung darin zu sehen, die lange Friedenszeit in unseren Breiten habe, als eine Art von physikalischer Kraft, im Innern der Einzelnen den Raum geschaffen, für einen ungeheuren Hass auf alles und jeden, und der dränge dazu, ausgelebt zu werden, und zwar an dem unmittelbaren Nachbarn – der noch um eine Tür oder noch ein Haus weiter käme als Objekt schon nicht mehr in Betracht, man wäre, oder spielte, mit dem sogar eigens gut Freund. Mit solchen Gründen waren jene Psychophysiker freilich nicht durchgedrungen. Die Nachbarnkriege galten weiterhin als unerklärliches Phänomen, was auch mit der Jähheit und urmenschhaften Wildheit zu tun hatte, womit die Gewalttätigkeiten jedesmal losbrachen. Ein Mann trat vor seine Gartentür, und sein Nachbar ging mit dem Weltkriegssäbel seines Vaters oder Großvaters auf ihn los. Ein anderer fuhr rückwärts aus seiner Garage auf die Straße und wurde gerammt von seinem Nachbarn, der ihm bei laufendem Motor schon die längst Zeit aufgelauert hatte. Wieder ein anderer wurde von oben mit siedenden Pech überschüttet, und noch einer, und, lang nicht der letzte in der täglichen Rubrik, bekam, während er feierabendlich auf seiner Terrasse die Zeitung umblätterte, von seinem unversehens durch das Gebüsch gebrochenen Nachbarn einen Nackenschlag mit einem Holzprügel, wie ihn Kain gegen seinen Bruder Abel kaum weniger wild geschwungen haben wird.
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GROSSE DISKUSSION UEBER "GROSSE FALL" AUF: http://goaliesanxiety.blogspot.com/2011/07/peter-handkes-latest-novel.html
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