Wenn Serbien Themenschwerpunkt unseres Frühjahrsprogramms ist, dann geht es vor allem um Anerkennung: Literatur als Botschafter einer fremd erscheinenden Lebenskultur, einer trennenden religiösen Verwurzelung und einer pochenden Idee der Autonomie. Natürlich ist die Literatur am Ende machtlos. Sie ähnelt, um mit Paul Celan zu sprechen, einer Flaschenpost, und es ist ungewiß, ob sie den richtigen Adressaten erreicht. Serbien ins Zentrum zu stellen, bedeutet für den Westen eine Nachholestunde: Nur die Anerkennung des Eigenständigen kann zu dem Grad an Verständnis führen, der die Konflikte entschärft, die Serbien stellvertretend für den Westen und den Osten, gegen den Islam wie auch gegen den Katholizismus ausgefochten hat. Die serbischen Dichter greifen dieses Spezifikum ihrer Geschichte auf, aber sie beschränken sich nicht auf ein Nachdenken über Serbien. Dort, wo sie über den nationalen Tellerrand hinausblicken, wird ihre Dichtung für uns interessant. Crnjanski sammelt seine Beobachtungen über Deutschland am Ende der Weimarer Republik in Berlin. Pavlović fragt nach der Rolle der Religion in unserem postmodernen Leben und blickt dabei auch nach Indien als Wiege des Buddhismus. Lazić interessiert die Mündigkeit der Frauen in einer vom orthodoxen Patriarchat geprägten Kultur. Tričković geht es um die universelle Funktion der Sprache und Tomašević fragt nach dem Hinterherhinken der Menschlichkeit hinter dem technischen Fortschritt – eine Frage, die sich gerade dem Westen in Zeiten der Krise ökonomischen Wachstumsdenkens stellt.
— Viktor Kalinke
Städte
Wenn sich die goldene Waage im Westen neigt,
wenn sich die Erde verschlingt
reiten ihr nach
mit brennenden Lichtern die Städte
© by Verica Tričković
Градови
Кад златна вага на западу превагне,
кад прогута себе земља
зајезде за њом
упаљеним фењерима градови
© by Верица Тричковић
Welten
Die Frühnachrichten
Staatsbürger gibt es
laut letzter Zählung ...
Gibt es Weltbürger
fragst du
Mit Messerschneide stechen Worte
drohen unbemerkt zu entgleiten
Erschöpft die Antwort
unter tauber Drachenpranke erstickt
© by Verica Tričković
Светови
Јутарње вести
По задњем попису
грађана државе има...
Колико је грађана света,
питаш
Оштрицом боду речи,
прете да промину незапажено
Одговор се изнемогао гуши
под руком аждаје глуве
© by Верица Тричковић
ISBN: 978-3-86660-109-3 |
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